Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat in einem Rundschreiben über die Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 informiert.
Hintergrund ist, dass zur Ausrüstung der Verwaltung zur effektiven Eindämmung der Pandemie unter anderem eine schnelle und effiziente Durchführung von Vergabeverfahren notwendig ist. Daher informiert das BMWi über die gesetzlich verankerten Möglichkeiten erheblich beschleunigter Vergabeverfahren in Gefahr- und Dringlichkeitslagen.
Ab Erreichen der EU-Schwellenwerte: Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb
Mit Blick auf Aufträge ab Erreichen der EU-Schwellenwerte (über die aktuellen Wertgrenzen informieren wir hier: https://jung-rae.de/neue-eu-schwellenwerte-ab-dem-01-01-2020/) kommt hierfür das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Betracht. Dies ist bei Liefer- und Dienstleistung nach § 14 Absatz 4 Nr. 3 Vergabeverordnung (VgV) anzuwenden, wenn
- ein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt,
- äußerst dringliche und zwingende Gründe bestehen, die die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgesehenen Fristen nicht zulassen,
- ein kausaler Zusammenhang zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis und der Unmöglichkeit besteht, die Fristen anderer Vergabeverfahren einzuhalten.
Diese Voraussetzungen sind nach Information des BMWi insbesondere für die Beschaffung z. B. von Heil- und Hilfsmitteln, wie etwa Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Masken, Schutzkittel, Verbandsmaterial, Tupfer, Bauchtücher und medizinisches Gerät wie etwa Beatmungsgeräte, sowie für sonstige notwendige Leistungen, wie mobiles IT-Gerät z. B. zur Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen, Videokonferenztechnik und IT-Leistungskapazitäten gegeben, wobei die Aufzählung nicht abschließend sei.
Auftraggeber können Angebote bei diesem Verfahren formlos und ohne Beachtung von Fristen einholen. In Anbetracht der Gesamtumstände kann eine sehr kurze Angebotsfrist – bis hin zu 0 Tagen – bei solchen Beschaffungen zulässig sein. Dies eröffnet Auftraggebern eine erheblich beschleunigte Auftragsvergabe.
Unterhalb der EU-Schwellenwerte: Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb
Auch unterhalb der Schwellenwerte ist nach § 8 Absatz 4 Nr. 9 Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) eine vereinfachte und beschleunigte Vergabe für besonders dringliche Dienst- und Lieferleistungen vorgesehen. Auftraggeber können dabei mehrere (grundsätzlich mindestens drei) Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern, wobei in Anbetracht der Gesamtumstände sehr kurze Fristen zulässig sein können. Gemäß § 12 Absatz 3 UVgO kann es außerdem unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein, nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern.
Auch wird auf die Möglichkeit der Länder hingewiesen, bestimmte Regeln der UVgO als Ultima Ratio insgesamt auszusetzen.
Ausweitung bestehender Verträge
Ein weiteres wichtiges Mittel öffentlicher Auftraggeber ist, bereits bestehende Aufträge über Dienst- und Lieferleistungen angesichts des kurzfristigen erhöhten Beschaffungsbedarfes zu ändern und zu erweitern. Eine Möglichkeit der Ausweitung bestehender Verträge ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens ist möglich gemäß § 132 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Die Vorschrift ist auch auf Dienst- und Lieferaufträge unterhalb der Schwellenwerte anzuwenden (§ 47 UVgO).
Voraussetzung ist zum einen, dass die Vertragserweiterung aufgrund von Umständen erforderlich wird, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nicht vorhersehen konnte, was nach Auffassung des BMWi aufgrund der Kurzfristigkeit und der dynamischen Entwicklung der Ausbreitung des COVID-19-Erregers der Fall sei.
Zum anderen darf keine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrages aufgrund der Vertragserweiterung vorliegen. Der Gesamtcharakter ändert sich nicht, wenn lediglich Liefermengen erhöht oder ein bestehender Liefervertrag über Gegenstände ergänzt wird, die dem gleichen oder einem ähnlichen Zweck dienen (bspw. medizinische Hilfsmittel wie Atemschutzmasken).
Die Auftragserweiterungen sind nach § 132 Absatz 2 Satz 2 GWB möglich bis zu einer Preiserhöhung um 50 % des ursprünglichen Auftragswertes. Bei Oberschwellenvergaben sind Vertragsänderungen gemäß § 132 Absatz 5 GWB im EU-Amtsblatt zu veröffentlichen.