Es gibt gleich zwei neue Entscheidungen des BGH auf dem Gebiet der Energiekonzessionen:
1. BGH zur Übereignung der Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene
Der seit vier Jahren dauernde Rechtsstreit zwischen der Stuttgart Netze GmbH gegen die Netze BW GmbH um die Übereignung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene hat nunmehr durch das Urteil des BGH vom 07.04.2020 (Az. EnZR 75/18) ein Ende gefunden. Der BGH hat die Vorinstanzen (OLG Stuttgart, Urteil vom 26.07.2018 – Az. U 4/17 und LG Stuttgart, Urteil vom 20.12.2016 – Az. 41 O 58/15 KfH) weitgehend bestätigt. Die Stuttgart Netze GmbH als Neukonzessionärin der Strom- und Gaskonzession für das Konzessionsgebiet Stuttgart hatte gegen die Netze BW GmbH unter anderem auf Übereignung dieser Anlagen geklagt. Der BGH knüpft einen Übereignungsanspruch an zwei Bedingungen. Ein Anspruch des neuen Energieversorgungsunternehmens auf Übereignung von Leitungsanlagen der Hochspannungs- und Hochdruckebene im Gemeindegebiet besteht nach diesem Urteil, wenn die betreffende Anlage nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Versorgungsaufgaben nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte, und die Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Funktion bei der örtlichen Versorgung hat.
Mit dieser Bedingungs-Formel greift der BGH auf seine bereits bestehende Rechtsprechung zum Übergang gemischt genutzter Mittelspannungsanlagen zurück (BGH, Beschluss vom 03.06.2014 – Az. EnVR 10/13). Danach erfolgt eine Abgrenzung zwischen dem örtlichen Verteilernetz und Durchgangsleitungen funktional mit Blick auf die Bedeutung der konkreten Anlage und nicht pauschal nach der betroffenen Spannungsebene. Notwendig im Sinne dieser Funktionalität sind alle Anlagen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der neue Konzessionär seine Versorgungsaufgaben nicht mehr wie der frühere Konzessionär erfüllen könnte.
Zwar sind die Leitungen der Hochspannungs- und Hochdruckanlagen nicht Gegenstand des Konzessionsverfahrens. Denn Gegenstand eines Konzessionsverfahrens nach § 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist lediglich das Recht zur Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Strom- und Gasleitungen. Der Übereignungsanspruch aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG sei jedoch Folge des Konzessionsvertrags und solle ausschließen, dass wegen des Netzeigentums des bisherigen Versorgers ein Wechsel praktisch verhindert werde (vgl. BT-Drs. 13/7274, S. 21). Der Übereignungsanspruch bestehe daher für alle Verteilungsanlagen, die für die Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendig sind. Auf die Spannungs- oder Druckebene komme es dabei nicht an.
Damit knüpft der BGH an die „Notwendigkeit“ von Anlagen als Bedingung für den Übereignungsanspruch an. Die Notwendigkeit einer Verteilungsanlage bestimmt sich vor dem Hintergrund des Netzes der allgemeinen Versorgung im gesamten Gemeindegebiet. Maßgeblich ist dabei nach Auffassung des BGH der Blick auf die Versorgungsfunktion hinsichtlich des gesamten Gemeindegebiets, nicht hinsichtlich des im Einzelfall an eine bestimmte Leitung angeschlossenen Letztverbrauchers. So könne der Einordnung einer bestimmten Leitungsanlage als notwendig nicht entgegenstehen, dass beispielsweise nur ein Kunde angeschlossen sei.
Die zweite Bedingung für den Übereignungsanspruch betrifft das Kriterium der „Unwesentlichkeit“. Für die Frage, ob eine Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Bedeutung für die örtliche Versorgung hat, kommt es bei gemischt genutzten Leitungen höherer Druck- und Spannungsebenen nach Ansicht des BGH darauf an, welchen Zweck die betreffenden Anlagen haben. Dienen sie dazu, die auf dem Gemeindegebiet belegenen Niederdruck- und Niederspannungsanlagen so miteinander zu verbinden, dass diese als einheitliches örtliches Verteilernetz betrieben werden können, ist eine mehr als nur unwesentliche Bedeutung zu bejahen. Dementsprechend sollen Leitungsanlagen höherer Druck- oder Spannungsanlagen grundsätzlich eine mehr als nur unwesentliche Bedeutung haben, wenn ohne Übereignung dieser Leitungsanlagen auf dem Gebiet der Gemeinde nicht miteinander verbundene einzelne Inseln vorhanden wären. Denn Ziel des EnWG sei es, einen Betrieb des örtlichen Verteilnetzes aus einer Hand zu ermöglichen. Zudem sind nach Ansicht des BGH die Ziele des § 1 EnWG – eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht – auch bei der Übereignung notwendiger Verteilungsanlagen zum Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet heranzuziehen.
Vor diesem Hintergrund kommt der BGH für die in dem Rechtsstreit betroffenen Hochdruckleitungen zu dem Ergebnis, dass es sich um solche für den allgemeinen Betrieb des Netzes der allgemeinen Versorgung in Stuttgart notwendigen Leitungsanlagen handele, da sie in einer funktionalen Weise mit dem Netz der allgemeinen Versorgung verbunden seien. Dasselbe gelte für die Hochspannungsleitungen. Insbesondere war das Argument der Netze BW GmbH, dass Hochspannungsleitungen schon nicht in der Gemarkung Stuttgart liegen und daher allenfalls mittelbar der Versorgung der Letztverbraucher dienen würden, nicht zielführend. Es kam alleine darauf an, dass sie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der neue Konzessionsnehmer seine Aufgaben nicht mehr wie der frühere Netzbetreiber erfüllen könnte und die Leitungsanlage eine mehr als nur unwesentliche Funktion für die örtliche Versorgung habe.
2. BGH zur Frage der Nichtigkeit von Konzessionsverträgen wegen der Mitwirkung von Doppelmandatsträgern an der Zuschlagsentscheidung
Im Januar hatte der Kartellsenat (Urteil vom 28.01.2020 – Az. EnZR 99/18) über die Frage zu entscheiden, ob der zwischen der Stadtwerke Leipzig GmbH (Klägerin) und der Stadt Leipzig geschlossene Wegenutzungsvertrag aufgrund der Mitwirkung sogenannter Doppelmandatsträger an der Entscheidung über den Zuschlag nichtig war.
Im Gaskonzessionierungsverfahren der Stadt hatte der Stadtrat mit Beschluss vom 15.04.2015 entschieden, einen neuen Wegenutzungsvertrag mit der Klägerin abzuschließen, deren alleinige Gesellschafterin die Stadt war. Mitglieder des Aufsichtsrates der Klägerin waren unter anderem von der Stadt entsandte Stadträte. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Übereignung der Gasverteilungsanlagen von der beklagten Eigentümerin dieser Anlagen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (OLG Naumburg, Urteil vom 21.09.2018 – Az. 7 U 33/17) hat der BGH die Nichtigkeit im Sinne von § 134 BGB für den vorliegenden Gaskonzessionsvertrag verneint.
Der BGH stellt wiederholt klar, dass Gemeinden bei der Vergabe der Wegenutzungsrechte nach § 46 Abs. 2 EnWG eine marktbeherrschende Stellung innehaben und demnach sowohl aus dem Kartellrecht (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB) als auch aus dem Energiewirtschaftsrecht (§ 46 EnWG) zu einer transparenten und nichtdiskriminierenden Auswahl des Unternehmens verpflichtet sind, die sich an sachlichen Kriterien (vorrangig den Zielen des § 1 EnWG) auszurichten hat.
Aus diesem Neutralitätsgebot folgt, dass eine organisatorische und personelle Trennung zwischen Vergabestelle und Bewerber erfolgen muss. In Anlehnung an § 6 VgV besteht daher grundsätzlich ein Mitwirkungsverbot von Ratsmitgliedern, die bei einem Bewerber gegen Entgelt beschäftigt oder bei ihm als Mitglied eines Organs tätig sind. Dies gilt auch für Ratsmitglieder, die Mitglied im Aufsichtsrat des Bewerbers sind.
Jedoch führt nach Auffassung des BGH nicht bereits die Mitwirkung solcher Doppelmandatsträger zur Nichtigkeit des Konzessionsvertrages. Vielmehr müsse hierfür eine unbillige Behinderung des unterlegenen Bewerbers vorliegen und sich das fehlerhafte Auswahlverfahren kausal auf die Zuschlagsentscheidung auswirken. Der Bewerber habe darzulegen und zu beweisen, dass ein Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zumindest möglich ist.
Für den Fall, dass ein Doppelmandatsträger nicht nur am Beschluss selbst, sondern auch am vorgelagerten Verfahren, etwa der Gestaltung der Zuschlagskriterien mitgewirkt hat, müsse aber wiederum die Gemeinde darlegen und beweisen, dass der Doppelmandatsträger seine Tätigkeit im Aufsichtsrat etwa für den maßgeblichen Zeitpunkt hat ruhen lassen und somit keine unbillige Behinderung eines Bewerbers in Betracht komme.
Im vorliegenden Fall war keine über die Zuschlagsentscheidung hinausgehende Mitwirkung der Doppelmandatsträger ersichtlich. Aufgrund der einstimmigen Entscheidung des Stadtrates war ferner nicht ersichtlich, dass die Entscheidung ohne Mitwirkung der Doppelmandatsträger anders ausgefallen wäre.
Ebenfalls lag aufgrund der Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 SächsGemO kein Verstoß gegen kommunalrechtliche Vorschriften vor, da die Stadträte von der Stadt entsandt wurden und ihre Aufsichtsratstätigkeit damit „als Vertreter der Gemeinde oder auf deren Vorschlag“ ausübten. Diese Ausnahmeregelung entspricht bspw. § 31 Abs. 2 Nr. 2 GemO NRW.