EuGH zur interkommunalen Zusammenarbeit: kollaboratives Element erforderlich!

Mit Urteil vom 04.06.2020 (C-429/19) hat der EuGH die Voraussetzungen für die Vergabefreiheit von Vereinbarungen zwischen öffentlichen Auftraggebern im Sinne von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU ausgelegt. Der Gerichtshof gelangt zu einer engen Auslegung für diese Ausnahmeregelung.

Dem Urteil lag ein Vorabentscheidungsersuchen des OLG Koblenz an den Gerichtshof zugrunde. Beurteilt wurde eine Vereinbarung zwischen einem Abfallzweckverband, welchem die Aufgabe der Abfallentsorgung übertragen worden ist, und einem Landkreis. In der Vereinbarung war der Kreis zur Abfallbehandlung in der von ihm betriebenen Abfallbehandlungsanlage verpflichtet worden. Diese Vereinbarung wurde als ausschreibungspflichtiger Dienstleistungsauftrag gerügt und ein Vergabenachprüfungsverfahren gegen den Zweckverband eingeleitet. Nachdem der Nachprüfungsantrag in erster Instanz zurückgewiesen wurde, erfolgte die sofortige Beschwerde bei dem vorlegenden OLG Koblenz.

Unter anderem wurde beanstandet, dass es sich nicht um eine „Zusammenarbeit“ zwischen öffentlichen Auftraggebern im Sinne von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU handele. Zwar ist auch der Zweckverband nach der in Rede stehenden Vereinbarung zur Lagerung und Entsorgung bestimmter Abfälle verpflichtet. Diese Pflichten wurden jedoch als nur theoretischer Natur beanstandet. Die Voraussetzungen einer „Zusammenarbeit“ seien mangels Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks und Beruhens der Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept nicht erfüllt.

Das OLG Koblenz kam zu der Auffassung, es komme entscheidend auf die Auslegung der in Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU geregelten Voraussetzungen für eine „Zusammenarbeit“ an, und hat diese Frage dem EuGH vorgelegt.

Gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (inhaltlich übereinstimmend § 108 Abs. 6 GWB) muss

  1. der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründen/erfüllen, um sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung öffentlicher Ziele ausgeführt werden,
  2. die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein und
  3. müssen die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen.

Fraglich sei, ob es eine „Zusammenarbeit“ in diesem Sinne darstelle, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Aufgabe der Abfallentsorgung auf seinem Gebiet, deren Erfüllung ihm nach nationalem Recht allein obliegt und für deren Erledigung mehrere Arbeitsschritte erforderlich sind, nicht vollständig selbst erledige, sondern einen anderen öffentlichen Auftraggeber gegen Entgelt zur Erfüllung eines Teils dieser Aufgabe beauftrage.

Der EuGH stellt in seinem Urteil heraus, dass in Abgrenzung zum öffentlichen Auftrag ein Zusammenwirken der beteiligten Kooperationspartner zur Erfüllung des öffentlichen Ziels unerlässlich sei. Die bloße Erstattung von Kosten durch einen der Kooperationspartner reiche nicht aus. Ein Zusammenwirken sei vorliegend nicht erkennbar, soweit in tatsächlicher Hinsicht keine Abfallentsorgung bzw. -lagerung durch den Zweckverband stattfinde. Im Vorlageverfahren habe der Zweckverband bereits eingeräumt, dass es sich bei den Klauseln der Vereinbarung um reine Absichtserklärungen handele.

Ferner erfordere Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU ein kollaboratives Element in der Vereinbarung. Der Begriff „Zusammenarbeit“ gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sei so auszulegen, dass der Vereinbarung eine gemeinsame Bedarfsprüfung und -definition vorauszugehen habe, während beim öffentlichen Auftrag der Bedarfsgegenstand einseitig vom Auftraggeber vorgegeben werde. Ob sich aus den Umständen im Einzelnen ergibt, dass der Vereinbarung eine Initiative zur Bündelung gemeinsamer Bedarfe vorausgegangen ist, müsse das vorlegende Gericht prüfen.

In Anbetracht dieser Auslegungsmerkmale sind die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU nicht erfüllt, wenn ein öffentlicher Auftraggeber eine allein in seiner Verantwortung liegende Aufgabe im öffentlichen Interesse nicht selbst erledigt, sondern gegen Entgelt in Teilen durch einen anderen öffentlichen Auftraggeber erledigen lässt.

 

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